Wilhelmine Bardua (1798-1865) zum Gedenken
So wäre auch dieser große Tag glücklich vorüber. Das Theater war überfüllt, der Beifall stürmisch. Ich hatte mein inniges Vergnügen ..., schrieb Wilhelmine Bardua am 28. Oktober 1854 in ihrem Tagebuch nieder.[1] Sie war die Verfasserin des kleinen Theaterstücks „Prinzessin Selke“, das am Tag zuvor im Ballenstedter Theater aufgeführt worden war. Es war das erste eigene Werk, das die 56jährige Wilhelmine Bardua verfasst und mit jugendlichen Laienspielern aus bürgerlichen Ballenstedter Familien einstudiert und aufgeführt hatte. Etwas spät kam sie zu der Erkenntnis, dass das Theater doch ihre eigentliche Lebensaufgabe sei, die sie ausfüllte, in der sie ihre musikalische und schriftstellerische Begabung ausleben und im Kreis begeisterter junger Menschen ihre Erfahrungen in Gesangsdarbietungen und ihre Kenntnisse in der Literatur weitergeben konnte.
Noch elf Jahre des Wirkens in Ballenstedt waren der Sängerin, Schriftstellerin und Theaterkünstlerin vergönnt, ehe sie vor 150 Jahren, am 17. Juni 1865, verstarb. Ihr Tod folgte nur ein Jahr nach dem Ableben ihrer älteren Schwester, der Malerin Caroline Bardua (1781-1864) in Ballenstedt. Mit ihr hatte Wilhelmine ihr ganzes Leben in enger Gemeinschaft verbracht.
Johanna Wilhelmine Auguste Sophie Bardua wurde am 26. Mai 1798 als Tochter des Kammerdieners beim Erbprinzen Alexius von Anhalt-Bernburg zu Ballenstedt, Johann Adam Bardua (1739-1818), geboren. Der Vater war für verschiedene Verwaltungsaufgaben am Ballenstedter Hof zuständig, darunter auch für die Anschaffung von Musikalien. Er spielte Klavier und komponierte auch. Die tatkräftige Mutter Sophie interessierte sich besonders für neuere Literatur und das Theater, das sie sehr liebte. Während die beiden Söhne Ernst und Louis Jura studierten, pflegten die Töchter Caroline und Wilhelmine ihre künstlerischen Begabungen. Beide erhielten Musikunterricht, für Caroline wurde sogar eine Ausbildung zur professionellen Porträtmalerin ermöglicht, welche die Lebensgrundlage für die beiden Schwestern werden sollte. Der große Altersunterschied von 17 Jahren zwischen Caroline und Wilhelmine bewirkte, dass die Ältere sowohl bewundertes Vorbild, wie Lehrmeisterin und verlässliche Ernährerin für die Jüngere wurde.
Im Herbst des Jahres 1810 kam Caroline nach dreijähriger Studienzeit bei dem Historienmaler Franz Gerhard von Kügelgen in Dresden nach Ballenstedt zurück. Die zwölfjährige Wilhelmine bestaunte die elegant gekleidete Schwester und deren Malkunst im Atelier im elterlichen Hause. Sie lernte eifrig mit der Schwester zweistimmig Lieder von Reichardt und Zelter zu singen, wie überhaupt das abendliche Musizieren im Hause der Barduas selbstverständlich war. Für Mine ging in der gebildeten Schwester eine ganz neue Welt auf: sie hörte von berühmten Leuten und aus der Großen Welt erzählen. Bald lernte sie Carolines Dresdner Künstlerfreunde wie den Maler Caspar David Friedrich und den Bildhauer Gottlob Christian Kühn kennen, die Caroline 1811 in Ballenstedt während ihrer Harzwanderung besuchten.
Die erste gemeinsame Reise führte die Schwestern im Jahre 1811 nach Coswig (Anhalt). Hier lebte der Bruder Ernst als Mitarbeiter des Justizamtes. Er hatte 1810 Marianne von Quernheimb geheiratet, die nach dem Tode ihrer Eltern von der Fürstin Friederike von Anhalt-Zerbst erzogen worden war. Die Verbindung der jungen Familie Bardua zur Fürstin im Schloss Coswig und zu deren Schwester Christine von Schwarzburg-Sondershausen war der Anlass, um Caroline als Porträtmalerin mit Bildaufträgen zu betrauen. Wilhelmine beschrieb später in den „Erinnerungen“ recht anschaulich ihren ersten Besuch zum Tee bei der alten Fürstin, der recht steif nach höfischem Zeremoniell ablief. Als Herzog Franz von Dessau die Fürstinnen besuchte und Carolines Arbeiten sah, lud er sie nach Wörlitz ein. Die Schwestern wurden hier im Gothischen Haus von dem Dichter und Vorleser am Dessauer Hofe, Friedrich von Matthisson, empfangen und durch die fürstlichen Sammlungen geführt.
Diesem ersten Ausflug in die Welt folgten für Wilhelmine wie für alle Zeitgenossen die schweren Kriegsjahre, die auch in das Leben der Familie Bardua eingriffen. Der jüngere Sohn Louis schloss sich den Freiwilligen Kämpfern im Befreiungskrieg an. Er kehrte unversehrt aus dem Kriege wieder heim. Für diesen Glücksfall hatte die Malerin Caroline das Versprechen gegeben, eine Lotterie mit ihren Bildern zu veranstalten, um den im Krieg verarmten Menschen zu helfen. Die Lotterie wurde veranstaltet; Caroline malte noch ein besonderes Bild für diese Auktion: ein junges Mädchen, deren Kleidung die Farben des Anhaltischen Jägercorps zeigt, zupft an einer Kamillenblüte als Orakel. Es ist eine allegorische Darstellung der wartenden Frauen auf die Heimkehr der Krieger. Wilhelmine begleitete die Schwester auf dem Gang zu den Armen in Ballenstedt, um ihnen Geld aus dem Erlös der Lotterie zu bringen und schrieb später in ihren „Erinnerungen“ über dieses Erlebnis:
In wie viel Elend, in wie viel Verzweiflung, in wie viel stille Tapferkeit haben die Schwestern dabei hineingeschaut! Es ist ihnen eine Lehre und Mahnung fürs ganze Leben geblieben.
Im Jahre 1815 veränderte sich das Leben der siebzehnjährigen Wilhelmine Bardua radikal. Die als Porträtmalerin erst in Halberstadt und dann in Halle erfolgreich tätige Schwester Caroline hatte sie eingeladen, zu ihr zu kommen. Für die unternehmungslustige Wilhelmine eröffnete sich damit die Aussicht auf ein reiches, kulturvolles Leben an der Seite der Schwester, das sich auch erfüllen sollte. Einstweilen war sie noch stille Zuschauerin des Geschehens im Atelier oder während der Besuche bei den Auftraggebern von Caroline.
Um als Porträtmalerin bekannt zu werden, war es für diese notwendig, die Thee- und Abendgesellschaften der Honorationen der Stadt zu besuchen. Zu den ersten Häusern der Stadt Halle gehörte das des Professors und Direktors der Franckeschen Stiftungen, August Hermann Niemeyer, dessen Gattin eine begabte Klavierspielerin war. Hier verlebten die Schwestern Bardua höchst anregende Abende, und Caroline erhielt Porträtaufträge von der Familie Niemeyer, ja sogar den ersten öffentlichen Auftrag, ein repräsentatives Bild von dem Kanzler Niemeyer für den Saal der Franckeschen Stiftungen zu malen. Eine weitere für Wilhelmines Leben bestimmende Bekanntschaft in Halle war die mit dem Philologen August Ferdinand Näke (1788-1838), Lehrer am Pädagogium in Halle und Bruder des Malers Gustav Heinrich Näke (1786-1835), den Caroline während ihrer Dresdner Studienzeit kennen gelernt hatte. August Ferdinand Näke war ein großer Goethe-Verehrer: er begeisterte sich an den treffenden Frauengestalten des Dichters und deklamierte dessen Werke bei seinen Besuchen in Carolines Atelierstube. Mit ihm blieb Wilhelmine viele Jahre brieflich verbunden, doch konnte sie sich nicht entschließen, ihn in Bonn zu besuchen, wohin Näke im Jahre 1818 als Professor der Klassischen Philologie gegangen war. Nach dem Tode Näkes betrauerte sie tief ihr verlorenes Lebensglück.
In Halle hatte Wilhelmine sozusagen private Lehrstunden im Theaterspiel. Die Schwestern machten engere Bekanntschaft mit der berühmten Schauspielerin Henriette Hendel-Schütz (1772-1849), die mit ihren mimischen Darstellungen das Publikum in Europa begeistert hatte. Nun gab sie in Halle noch Gastrollen am Theater, und die Schwestern versäumten keine Vorstellung. Einst posierte sie auch zum großen Erstaunen der Schwestern in Carolines Atelier als Madonna, Magdalena, Sibylle und Sphinx und meinte dazu, dass sie selbst eine Historienmalerin sei, die zwar nicht mit dem Pinsel aber mit der Auffassung und der Phantasie eines Malers durch Gestik historische Kompositionen schaffe. Die von Caroline und Wilhelmine Bardua in den folgenden Jahren in Berlin, Frankfurt am Main und Ballenstedt bis zu ihrem Lebensende praktizierte Darstellungskunst der sogenannten „Lebenden Bilder“ hatte hier erste nachhaltige Anregung erfahren.
Das anregende gesellschaftliche Leben in Halle im Kreise interessierter Kunstfreunde gefiel Wilhelmine außerordentlich, doch die Schwester Caroline strebte vorwärts. In der Stadt Berlin hoffte sie, künstlerische Anregungen und lukrative Aufträge von bedeutenden Personen zu erhalten. Die von Wilhelmine so häufig geäußerten Bedenken fanden kein Gehör, und Caroline sollte recht behalten. Es gelang ihr nach der Übersiedlung 1819, hier Fuß zu fassen; ja sie war einige Jahre eine der gesuchtesten Porträtmalerinnen in Berlin. Einladungen und Aufträge kamen sowohl vom Adel wie aus bürgerlichen Kreisen. Wilhelmine begleitete die Schwester, wenn sie Großaufträge außer Haus ausführte, sie unterhielt die Kinder und belebte die Modellsitzungen durch Gesang und Vorlesungen. Dies war eine wichtige Aufgabe für Wilhelmine, da stilles Sitzen Müdigkeit in den Zügen des Modells hervortreten lässt, was einem gewünschten lebhaften Ausdruck des Porträts nicht förderlich ist.
Caroline Bardua sorgte in Berlin nicht nur für die Ausbildung des Bruders Louis, sondern auch für die der Schwester. Sie finanzierte ihr den Gesangsunterricht bei dem Direktor der Berliner Singakademie und Freund Goethes, Carl Friedrich Zelter (1758-1832), so dass Wilhelmine die Aufnahme in die Berliner Singakademie erhielt und von 1820 bis 1825 Mitglied dieses einzigartigen Chores war. Davon schrieb sie in ihren „Erinnerungen“: Zweimal wöchentlich versammelte man sich in einem der langen Säle des Akademiegebäudes Unter den Linden. Diese Stunden waren für Mine der Höhepunkt aller Freude. Es war aber auch etwas Großes: der fromme Gesang dieser Menge geschulter Stimmen. Die Musik hallte wunderbar schön in den hohen Räumen. Zelter ging, die Partitur in den Händen, auf und ab zwischen den Reihen der Singenden; Rungenhagen begleitete auf dem Flügel.[...] Welch ein Hochgenuß war es für Mine, an diesen großen Aufführungen teilnehmen zu dürfen! Unvergesslich vor allem sind ihr die denkwürdigen Karfreitagsmusiken des Graunschen „Todes Jesu“. Sie waren wie ein Gottesdienst.
Wilhelmine konnte nun Gesellschaftsabende durch ihren Gesang bereichern, arrangierte selbst musikalische Darbietungen und gab später in Ballenstedt Gesangs- und Französischunterricht.
Jede Möglichkeit nutzten die Schwestern Bardua, um am Berliner Musik- und Theaterleben teilzunehmen. Caroline sah sich nach neuen Auftraggebern um und reiste ab 1827 im Sommer an den Rhein, um zum Beispiel in Heidelberg und Krefeld Porträts zu malen. Drei Jahre lebten die Schwestern sogar in Frankfurt am Main, wo Carolines Bildniskunst sehr gefragt war und Wilhelmine als Sängerin auf den zahlreichen Gesellschaften der reichen Bürger und der Diplomaten auftrat.
Am 30. März 1843 gründeten in Berlin die Töchter der mit den Barduas befreundeten Familien wie Maximiliane, Armgart und Gisela von Arnim, Ottilie von Graefe, Marie Lichtenstein und die Schwestern Bardua den „Kaffeter“, einen Klub für unverheiratete künstlerisch tätige Damen. Seele des Klubs wurde Wilhelmine Bardua als Protokollführerin und Redakteurin der eingelieferten Beiträge für die Kaffeterzeitung. Die Sitzungen des Klubs wurden zum gesellschaftlichen Ereignis in Berlin; neue Mitglieder wie Valeska von Grabow, Pauline und Anna von Wolzogen, Nina von Olfers, Louise Bardua und Amalie von Herder vergrößerten bald den Kreis, in dem sich enge freundschaftliche Bindungen zwischen den jungen Damen, die später zum Teil einflussreiche gesellschaftliche Stellungen inne hatten, anknüpften. Die revolutionären Unruhen der 1848er Jahre veränderten die gesellschaftliche Situation in Berlin; die Schwestern Bardua zogen im Sommer nach Alexisbad im Harz und kamen der Heimatstadt Ballenstedt und deren herzoglichen Hof wieder näher. Im Jahre 1852 übersiedelten sie ganz nach Ballenstedt, um hier nach langer gemeinsamer Lebensreise in dem vertrauten, malerischen Städtchen den Lebensabend zu verbringen. In den vergangenen Jahren hatten sie den Kontakt zu dem Bruder Ernst und seiner Familie in Coswig nicht verloren; sie weilten häufig für längere Zeit in dieser kleinen Stadt, die ihnen so gut gefiel. Wilhelmine Bardua berichtet davon:
Das Städtchen stand in dem Ruf von allen anhaltischen Provinzen die fröhlichste zu sein. Während des Winters spielte man Comödie; im Sommer ging man spazieren. Die Familien thaten sich zusammen und hielten Picknick im Freien; man wanderte in zahlreichen Gesellschaften mit vollgepackten Kinderwagen nach Wörlitz oder dem Hubertusberg, eigentlich Purzberg, der schönere Name kam erst später. Ein näherer Spaziergang war der Lug, ein stiller, lieblicher Platz, abwärts an der Elbe von üppigen Wiesen und Waldung umgeben, mit einem Gasthaus und Tischen und Bänken davor. Der Ort ist sehr anziehend und schon zu Luthers Zeiten bekannt gewesen, der ihn der vielen Singvögel wegen die es im Frühling dort giebt „unsers lieben Hergotts Vogelbäuerlein“ nannte. Dahin gingen die Geschwister Bardua oft [...]. Sie gingen fröhlich hin und kamen fröhlich wieder: sie waren alle jung, in dem Alter wo der Mensch erstaunlich viel von seinem Geschick erwartet, wo er hundert Pläne macht [...] und alle Tage auf etwas Angenehmes, Neues, Unbestimmtes hofft.
Mit diesem Auszug aus den „Erinnerungen“ der Wilhelmine Bardua soll dieses Gedenken an eine ungewöhnliche künstlerische Lebensgemeinschaft der Schwestern Caroline und Wilhelmine Bardua aus Ballenstedt im Harz ihren Abschluss finden. Es ist die eigentliche große Leistung der Wilhelmine Bardua, dass sie als Schriftstellerin in den „Erinnerungen“ und in ihren Tagebüchern das an Ereignissen und Begegnungen so reiche Leben der Schwestern Bardua geschildert und damit der Nachwelt überliefert hat.
[1] Die Zitate in diesem Beitrag entstammen dem Manuskript der “Erinnerungen“ von Wilhelmine Bardua und dem Buch: Die Schwestern Bardua. Aus Wilhelmine Barduas Aufzeichnungen gestaltet von Prof. Dr. Johannes Werner, Leipzig 1929.